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Kampf im Ring

Eine kleine Philosophie des Kämpfens

Eine kleine Philosophie des Kämpfens

Warum kämpfen wir? Warum kämpfe ich? Warum die Schmerzen, die Anstrengung, der Zeitaufwand, der Schweiß, das Blut? Warum mit schweißtriefenden Menschen eng verzahnt auf dem Boden rumrollen? Warum uns mit Faust und Fuß ins Gesicht schlagen lassen? Ja, warum?
Es gibt viele Gründe. Jeder hat andere. Für manche ist es der Ausgleich zum Alltag, dem Arbeitsleben. Oder einfach körperliche Ertüchtigung. Für andere sind es auch die Menschen, die Freunde, die man gewonnen hat. Oder aber das tief innewohnende Bedürfnis sich im Kampf zu messen. Etwas Archaisches, etwas zumeist Männliches. Sicher kann es auch eine Schule der Disziplinen sein, des Miteinander-Umgehens. Und auch Therapie, ein Ringen mit sich selbst, seinem Wesen, seinem Charakter, seinen Stärken und Schwächen. Manch ein Soziologe wie Zygmunt Bauman behauptet, es sei ein unbewusstes Sich-schützen-wollen in unsicheren Zeiten. Ein Hegelianer würde möglicherweise argumentieren, dass das Andere, durch den ich mir erst bewusst werde, wer ich eigentlich bin, im Zeitalter von Kopie-und-Paste, dem immer Gleichen, verloren geht. Und wer ist mir mehr anders als ein Gegner. Manch ein Psychologe würde vielleicht im freudianischen Sinne antworten, dass Kampfsport etwas Masochistisches hat. Dass Thanatos, der Drang des Todes, verquickt ist mit Eros, dem Drang des Lebens. Das heißt, dass der Schmerz das Leben intensiviert. Fühlen wir uns im Nachhinein nicht etwas lebendiger, wenn wir die Triangle aufgeht, der Druck sich löst und wir wieder atmen können.
Für mich ist es aber immer noch mehr. Es ist gelebte Philosophie. Rousseau im Ring, Mill auf der Matte. Aus vielen Gründen. Aber vor allem weil es mir so viel über mich selbst beigebracht hat. Wir leben in Zeiten, in denen das Leben mosaikhafte Formen annimmt. Wir selbst werden zu einem Flickenteppich aus Ideen, Vorstellungen, Lebensweisen. „Patchwork-Identitäten“ nennen das die Soziologen. Wir leben mehrere Leben in einem. Wir sind hier Mütter oder Väter, dort Kampfsportler, jetzt Journalist, dann Briefmarkensammler, Rammstein-Fan oder was auch immer. Wir wechseln ständig unsere Arbeitsstelle, gar unseren Beruf, unsere Lebenspartner, Wohnorte, Interessen, Vorlieben. Wir sind überall gleichzeitig und doch nirgendwo. Wir sind viele. So schön diese Freiheit und Vielfalt ist, so zerreißend und widersprüchlich kann sie manchmal sein.
Wenn ich aber kämpfe, dann bin ich nur der Eine, nur ich. Ein ganzes. Dann gibt es kein dort mehr, nur noch ein hier. Kein früher oder später, lediglich ein Jetzt. Es ist spirituell, meditativ. Und das ist, was wahre Philosophie am Ende auch ist – oder zumindest sein sollte. Mit dem Hinduismus (auch dem Buddhismus) im Hinterkopf könnte man sagen, das Ego verschwindet. Man wird eins mit der Weltenseele, Ātman. Und erst wieder, wenn ich nichts bin, weiß ich, wer ich bin, so paradox es klingen mag. Und auch die Hegelianer haben Recht, denn erst wenn ich dem anderen entgegentrete, weiß ich wieder, wer dieses Ich ist. Und doch bin ich mir im Bilde, sobald ich dem Anderen von an Angesicht zu Angesicht gegenüberstehe, dass auch wir eigentlich Eins sind. Wer gewinnt, ist egal. Wir gewinnen immer und verlieren zugleich.
Darum kämpfe ich.

Krisha Kops

www.krishakops.de

Wie Krisha den Weg zu seinem ersten MMA Kampf erlebt hat, könnt ihr in der neuesten Ausgabe des SZ Magazins nachlesen, das am Freitag erscheint. Online ist der Artikel schon heute verfügbar!

Fotograf: Daniel Delang

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